Frisch erschienen: «Nordmeer»

Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt – nach wahren Begebenheiten

Allen Kurzgeschichten der Reihe mit dem Titel „Nordmeer“ liegen wahre Begebenheiten zugrunde. Aber wissenschaftliche Geschichtsschreibung ist nüchtern. Sie kann uns kaum erklären, warum Seefahrer seit Jahrtausenden hinausfahren und sich in Gefahr begeben. Sie beschreibt uns auch nicht, was die Schiffsbesatzungen auf See durchlebten. Und erst recht nicht, warum die meisten Seeleute aller Epochen, kaum dass sie den sicheren Heimathafen endlich erreicht hatten, schon wieder von der nächsten Fahrt zu träumen begannen. Die Kurzgeschichten gehen deshalb weiter. Sie basieren auf intensiver Recherche historischer Fakten, beschreiben die geschilderten Ereignisse jedoch aus Sicht der handelnden Personen. Jeder Kurzgeschichte ist eine Darstellung des historischen Kontexts und der berücksichtigten Forschungsergebnisse vorangestellt. Die wichtigsten Quellen werden am Ende des jeweiligen Textes benannt. Der Leser kann dadurch nachvollziehen, wie nahe sich die Erzählung an den historischen Ereignissen bewegt. Auch nautische Methoden und Techniken der jeweiligen Epoche sind möglichst anschaulich und historisch korrekt dargestellt.

 

Band 1

Die Wiederentdeckung Vinlands
Hat ein deutscher Seefahrer bereits zwei Jahrzehnte vor Kolumbus Amerika erreicht? Es gibt eine Reihe von Indizien dafür. Und es ist gar nicht verwunderlich, dass sich die offizielle Geschichtsschreibung dazu ausschweigt. Noch bevor Kolumbus’ Reise als grandiose Entdeckung in die Geschichte einging, wusste man im hohen Norden längst vieles über den Kontinent westlich von Grönland.

Download des eBooks «Nordmeer» – Band 1
Eine komplette Kurzgeschichte als kostenlose Leseprobe (Hinweis für Nutzer des Kindle-Readers):




 

Band 2

Der Shetland Bus
Norwegische Freiheitskämpfer widersetzen sich der deutschen Okkupation im Jahr 1941 durch ein spektakuläres Transportnetz für Flüchtlinge und Spione: Sie fahren mit harmlosen Fischkuttern über die Nordsee – meist des Nachts im Schutz der Dunkelheit, die in den eisigen Wintern des hohen Nordens besonders lange andauert. Bei Entdeckung der Kutter reagieren die deutschen Besatzer gnadenlos.

Das Schiff der Krieger
Seit der Steinzeit ritzten Unbekannte an einer heiligen Stätte in Nordnorwegen Zeichnungen in den Fels – Szenen von Jagd, Rentierhaltung und vielem mehr. Eine der prächtigsten Abbildungen ist etwa 2.400 Jahre alt. Sie zeigt ein Schiff, das aussieht, als stamme es von den Wikingern – obwohl die Wikingerzeit erst mehr als 1.000 Jahre später beginnen wird. Die Wurzeln der räuberischen Seefahrer dürften jedoch älter sein, wie uns das Bild erzählt.

Drei Jahre im ewigen Eis
Wie viele Entdecker vor ihm träumt auch der junge norwegische Wissenschaftler Fridtjof Nansen davon, als erster Mensch den Nordpol zu erreichen. Er scheitert dramatisch: Nach anderthalb Jahren auf dem im Eis gefangenen Schoner Fram irren Nansen und sein Partner Fredrik Johansen über ein Jahr lang mit Hundeschlitten und zu Fuß durch das ewige Eis. Sie überleben nur, weil sie sich Wissen der Inuit angeeignet haben.

 


 

Band 3

Der nördliche Seeweg nach China
Nachdem die Welt im Jahr 1494 durch den Vertrag von Tordesillas in einen portugiesischen und einen spanischen Machtbereich aufgeteilt ist, träumt man in England von einem eigenen Handelsweg nach Fernost. Eine schiffbare Nordwest- oder Nordostpassage würde die aufstrebende Seefahrtsnation reich machen. Die Entdecker John und Sebastian Cabot versprechen der englischen Krone vieles – halten aber kaum etwas.

Das letzte Schlachtschiff
Deutsches Großmachtstreben führt im 19. und 20. Jahrhundert zu einer beispiellosen Schiffsrüstung. Während die deutsche Marine England im Ersten Weltkrieg Paroli bieten kann, scheitert das Oberkommando mit seiner auf Schlachtschiffen aufbauenden Strategie im Zweiten Weltkrieg verhängnisvoll, und zwar im Streit mit Hitler. Der lange voraussehbare Untergang der Tirpitz kostet 971 Menschenleben.

Sedows Flaggenstock
Im Jahr 1977 gelingt der Sowjetunion ein Triumph der Arktisforschung: Der Atomeisbrecher Arktika erreicht im August auf einer Fahrt durch das ewige Eis den geografischen Nordpol. Die Funktionäre der KPdSU feiern dies als epochale Leistung des Sowjetvolkes unter der Führung seiner Kommunistischen Partei. Erfolge und Opfer der Arktisexpeditionen während des Zarenreichs unterschlägt die Staatspropaganda.

 


Fridtjof Nansen: Drei Jahre gefangen im ewigen Eis

Die Polarexpedition Mosaic, bei der ein deutsches Forschungsschiff sich von der arktischen Eisdrift am Nordpol vorbeischieben lässt, hat ein historisches Vorbild. Anders als heute ging es einst um Leben und Tod.

Bereits 126 Jahre vor der Expedition des deutschen Forschungsschiffs Polarstern hat der Norweger Fridtjof Nansen sein im arktischen Eis eingefrorenes Schiff Fram durch die Eisdrift am Nordpol vorbei von den Neusibirischen Inseln bis fast vor die grönländische Küste schieben lassen.

Während die Forscher heutzutage nach einigen Monaten Dienstzeit auf der eingefrorenen Polarstern von einem russischen Spezialhelikopter ausgeflogen werden, riskierte Nansen einst noch sein Leben und das seiner zwölf Gefährten. Denn sie waren im Eis gefangen. Und bis zu diesem Zeitpunkt waren die meisten eingefrorenen Schiffe vom arktischen Eis zerdrückt worden und gesunken. Unzählige Crewmitglieder von Polarexpeditionen hatten so ihr Leben verloren.

Nansens Schoner Fram im arktischen Eis festgefroren (Foto: National Library of Norway)
Nansens Schoner Fram im arktischen Eis festgefroren (Foto: National Library of Norway)

Die Eisverhältnisse in der Arktis waren – vor Beginn des Klimawandels – auch deutlich gefährlicher. Die durchschnittliche Fläche des arktischen Eises hat sich allein seit Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1979 um rund ein Viertel verringert. Man schätzt außerdem, dass die Eisdicke im Sommer allein seit der Jahrtausendwende um 50 Prozent zurückgegangen ist. Dadurch gibt es nur noch sehr wenig mehrjähriges Eis, das sich zu Nansens Zeiten noch großflächig zu Packeisbarrieren auftürmte.

Die veränderten klimatischen Verhältnisse und gleichzeitig die Unterstützung durch moderne Eisbrecher erlauben der Polarstern, die Reise in einem Jahr zu absolvieren, während die Fram drei Jahre driftete.

Über die Eisdrift wusste man bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts kaum etwas. Dann kam es zu einer der vielen tragisch endenden Expeditionen, bei der das amerikanische Forschungsschiff USS Jeannette im September 1879 vor der sibirischen Küste festfror. Bis Juni 1881 driftete das Schiff mit dem Eis knapp 600 Seemeilen, mehr als 1.000 Kilometer, nach Nordwesten. Schließlich wurde es zerdrückt und sank. Beim Versuch, das Festland zu erreichen, verloren 20 der 33 Crewmitglieder, die bis dahin auf dem Schiff ausgeharrt hatten, ihr Leben.

Drei Jahre nach dem Untergang tauchten Wrackteile der Jeannette mehr als 4.000 Kilometer entfernt auf, nämlich auf der anderen Seite des Nordpols im Fjord von Julianehåb an der Südwestküste Grönlands. Die im Treibeis eingeschlossenen Gegenstände enthielten Kleidungsstücke mit den Namen von Crewmitgliedern der Jeannette.

Daraufhin veröffentlichte Henrik Mohn, damals einer der führenden norwegischen Ozeanografen, die Hypothese einer transpolaren Drift. Dafür sprachen noch weitere Indizien, etwa Treibholz aus Sibirien, das in Grönland angeschwemmt wurde. Man hatte sogar in Treibeis vor Grönland aus Sibirien stammende Sedimentspuren und Kieselalgen nachgewiesen. Es gab daher die Vermutung, dass die gewaltigen Tauwassermengen, welche von den sibirischen Strömen im Frühjahr ins Polarmeer ausgestoßen wurden, eine kontinuierliche transpolare Eisdrift auslösen und das Eis der arktischen Polkappe beständig von Sibirien aus in Richtung Grönland schieben würden. Von Anfang an befanden sich Mohn und seine Anhänger, zu denen der junge Wissenschaftler Fridtjof Nansen gehörte, jedoch unter Wissenschaftlern in der Minderheit.

Die Wissenschaftler der britischen Royal Geographic Society etwa widersprachen Nansens Theorie von der Eisdrift nahezu einhellig. Der renommierte britische Polarforscher Sir George Nares, der bis dahin den Rekord der nördlichsten von einem Menschen je erreichten Position hielt, war der Auffassung, wenn das Eis drifte, seien nur polare Winde die Ursache. Richtung und Intensität der Eisdrift seien daher kaum vorhersagbar. Die Winde würden das Eis aber in erster Linie westwärts verschieben und nicht geradewegs nach Norden.

Heute weiß man, dass arktische Winde, aber auch die von der Erddrehung verursachte Corioliskraft hauptverantwortlich für die Eisdrift sind, so dass diese sich deutlich anders verhält als von Mohn und Nansen vermutet. Seinen Irrtum sollte Nansen beinahe mit dem Leben bezahlen.

Im Jahr 1890 schlug Nansen der Norwegischen Geographischen Gesellschaft eine Expedition zum Nordpol vor. Er wollte die Eisdrift nutzen, um ein Schiff vom Eis über den Pol schieben zu lassen. Das Schiff, die Fram, sollte sich bei den Neusibirischen Inseln gezielt im Eis einfrieren lassen und dann über den Pol driften. Die Fram sollte anders gebaut sein als normale Schiffe: Der Rumpf sollte so flach und rund geformten sein, dass der Eisdruck das Schiff nicht zerbrechen, sondern nur nach oben, aus dem Eis, drücken konnte. Dem Eis sollte die Angriffsfläche genommen werden. Mit Hundeschlitten, so Nansens Plan, wollte er dann die restliche Distanz zum Nordpol überwinden.

Fram-Expedition: Bahnbrechende Forschungsergebnisse aus der Arktis (Foto: National Library of Norway)
Fram-Expedition: Bahnbrechende Forschungsergebnisse aus der Arktis (Foto: National Library of Norway)

Dass seine Annahmen über die Eisdrift falsch waren, hat Nansen erst erkannt, als er und seine Mannschaft mit der Fram bereits lange im Eis feststeckten. Vor allem die Richtungen der wechselvoller als vermutet ablaufenden Drift hatte Nansen falsch eingeschätzt. Anderthalb Jahre nach dem Einfrieren wagte er zusammen mit dem Crewmitglied Fredrik Hjalmar Johansen dennoch die geplante Schlittenfahrt, obwohl die Distanz zum Pol noch immer 680 Kilometer Luftlinie betrug und er darüber hinaus wegen hoch aufgetürmter Packeisfelder oder gerissener Eisdecke mit erheblichen Umwegen zu rechnen hatte.

Eine solch lange Schlittenfahrt ist nicht nur wegen der ungewissen Eisverhältnisse gefährlich, sie ist auch logistisch extrem problematisch. Denn Material, Nahrungsmittel und Futter für die Schlittenhunde führen mit zunehmender Distanz zu einer exponentiell zunehmenden Fracht, die befördert werden muss. Selbst als es fast acht Jahrzehnte später, am 6. April 1969, mit dem englischen Polarforscher Wally Herbert erstmals einem Mensch gelang, per Hundeschlitten zum Nordpol vorzudringen, wurden Herbert und seine drei Weggefährten auf ihrem Weg nach 90 Grad Nord mehrmals von Flugzeugen versorgt.

Ehrgeizig tüftelte Fridtjof Nansen eine ethisch durchaus fragwürdige Methode aus, um dieses Problem zu lösen: Er reduzierte das mitzuführende Hundefutter stark, indem er beschloss, die 28 Schlittenhunde nach und nach zu schlachten und an ihre verbleibenden Genossen zu verfüttern. Am Ende ernährten er und sein Begleiter Johansen sich sogar teilweise selbst von Hundeblut.

Gleichwohl konnten Nansen und Johansen nur gut ein Drittel der Distanz zum Pol überwinden. An 24 Tagen auf dem Eis kamen sie dem Pol gerade einmal 261 Kilometer näher, 419 Kilometer waren sie da immer noch vom Ziel entfernt. Zwar stellte das einen neuen Rekord dar, aber es war zugleich eine Niederlage für Nansen.

Auch nachdem sie umgekehrt waren, gestaltete sich das Vorankommen schwieriger als erwartet. Deshalb mussten die beiden Männer im Norden des unbewohnten Franz-Josef-Archipels, den sie mit viel Glück erreichten, bei bis zu 50 Grad minus überwintern. Sie überlebten nur, weil sie bei einer vorangegangenen Expedition nach Grönland monatelang die Lebensweise der Inuit studiert hatten. Ernähren konnten sie sich nur, indem sie reihenweise Eisbären und Walrosse schossen. Mit dem Fett von Walrossen befüllten sie zudem ihre Öllampen, um in der langen Polarnacht Licht machen zu können.

Fünfzehn Monate nach Verlassen der Fram gelang es ihnen, im Süden von Franz-Josef-Land das Basislager einer mehrjährigen britischen Expedition zu finden. Von dort wurden sie zurück nach Norwegen gebracht.

Die Fram, die den Nordpol weit verfehlt hatte, kam nach zwei Jahren, zehn Monaten und einer Woche nordwestlich von Spitzbergen aus dem Eis frei – zufälligerweise genau am gleichen Tag, als Nansen und Johansen erstmals wieder norwegischen Boden betraten.

Mit Beobachtungssatelliten hat man die Eisdrift mittlerweile recht genau entschlüsselt. Sie besteht aus mehreren großen und kleinen Strömungssystemen. Und auch wenn der Wind eine wesentliche Rolle spielt, kann man die Eisdrift auf Basis langjähriger Mittelwerte mittlerweile doch recht genau vorhersagen. Man weiß auch, dass die Drift sich seit Mitte des letzten Jahrhunderts von etwa fünf auf sieben Kilometer pro Tag beschleunigt hat. Die Polarstern soll sich dem Nordpol auf weniger als 200 Kilometer nähern – eine Distanz die geringer ist als jene, die Nansen mit dem Hundeschlitten zurückzulegen in der Lage war.

Neuerscheinung: Kurzgeschichte zu Nansens Fram-Expedition
Ralf-Thomas Hillebrand: «Drei Jahre im ewigen Eis». In: «Nordmeer: Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt – nach wahren Begebenheiten» (Band 2), Norderstedt/Berlin 2019 (www.ralf-thomas-hillebrand.de/band2, eBook).

Leseprobe: Komplettes kostenloses eBook der Reihe „Nordmeer“:
Ralf-Thomas Hillebrand: „Die Wiederentdeckung Vinlands”; In: “Nordmeer – Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt – nach wahren Begebenheiten (Band 1)”, Berlin 2019. Download (gratis): www.ralf-thomas-hillebrand.de/vinland

Entdecker Kolumbus: Die Entdeckten wehren sich

Auf dem amerikanischen Kontinent gibt es zunehmend Widerstand gegen Feierlichkeiten zum Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus am 12. Oktober 1492. Sogar die Entdeckung selbst gerät in Zweifel.

Am 12. Oktober jährt sich zum 537sten Mal jener Tag, an dem Christoph Kolumbus erstmals amerikanischen Boden betrat. Seit langem ist der Tag in den USA, Spanien und anderen lateinamerikanischen Ländern Anlass für Feierlichkeiten. Doch diese sind politisch zunehmend umstritten.

12. Oktober 1492: Kolumbus betritt auf der San Salvador amerikanischen Boden und nimmt in die Insel für die spanische Krone in Besitz
12. Oktober 1492, Guanahani/San Salvador (Foto: © US Library of Congress)

Den Anfang machte Spanien selbst: Länger als ein halbes Jahrhundert hatte man den 12. Oktober als “ El Día de la Hispanidad ” (Tag der Hispanität) gefeiert und dabei unverhohlen die Kolonialisierung Lateinamerikas bejubelt. 1987 wurde er schließlich in “Fiesta nacional de España” umbenannt.

In Südamerika wurde der Jahrestag seit Anfang des vergangenen Jahrhunderts gar als “Día de la Raza” , Tag der (hispanischen) Rasse”, zelebriert. Doch dann: In Chile benannte man ihn im Jahr 2000 in „Día del Encuentro de Dos Mundos“ (Tag der Begegnung der zwei Welten) um. Argentinien verwandelte ihn 2010 in den „Día del Respeto a la Diversidad Cultural“ (Tag des Respekts vor der kulturellen Diversität). In Bolivien heißt er seit 2011 „Día de la Descolonización“ (Tag der Entkolonialisierung). Und Ecuador feiert seit 2011 den „Día de la Interculturalidad y la Plurinacionalidad“ (Tag der Interkulturalität und Multinationalität).

In den USA ist der seit über einhundert Jahren mit großem Aufwand begangene “Columbus Day” ein beweglicher Feiertag, der in diesem Jahr auf den 14. Oktober fällt. Auch hier steht er in den letzten Jahren stark in der Kritik. Denn immer mehr US-Bürger wollen nicht, wie es der Anthropologe Jack Weatherford formulierte, die größte Welle von Genoziden feiern, die es in der Geschichte je gegeben hat.

Eine wachsende Anzahl von Bundesstaaten gedenkt deshalb statt Kolumbus’ lieber der Opfer der Völkermorde. Bereits 1990 benannte South Dakota den “Columbus Day” in “Native American Day” um. Im Jahr 2016 schlossen sich Minnesota, Alaska und Vermont einer US-weiten Bewegung an, die den strittigen Tag nun als “Indigenous Peoples’ Day” (Tag der indigenen Völker) zelebriert. 2018 kam der Bundesstaat North Carolina hinzu. In diesem Jahr folgten New Mexico, Maine und Vermont. Außer den Bundesstaaten haben sich seit 2014 auch eine Vielzahl an Städten und Universitäten dem Wechsel zum “Indigenous Peoples’ Day” angeschlossen, darunter Seattle, Minneapolis, Portland, St. Paul, Denver, Phoenix, Austin, Kansas City, Long Beach, Los Angeles, Nashville, Oklahoma City und San Francisco.

Die Aktivisten, die derzeit dafür kämpfen, dass auch Massachusetts den “Columbus Day” abschafft, finden auf ihrer Website besonders kritische Worte zum Entdecker der Neuen Welt: “Kolumbus hat überhaupt nichts entdeckt, außer dass er über tausende indigener Gruppen mit komplexen Gemeinschaften und Ordnungen stolperte” , heißt es dort.

Zweifel an Kolumbus’ Leistungen als Entdecker

In der Tat bleibt bei kritischer Betrachtung nicht allzu vieles, das Kolumbus wirklich entdeckt hat. Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass Amerika nach Amerigo Vespucci benannt wurde, weil jener es war, der erkannte, dass es sich bei den ab 1492 unterworfenen Ländereien auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans um einen eigenen Kontinent handelt. Kolumbus selbst ging hingegen bis zu seinem Tode davon aus, im Osten von Hinterindien gelandet zu sein.

Seit 1961 weiß man auch, dass Wikinger bereits knapp 500 Jahre vor Kolumbus – um das Jahr 1000 – Amerika erreichten. Dies beweist die Entdeckung einer Wikingersiedlung in L’Anse aux Meadows auf Neufundland. Sie ist Beleg dafür, dass Kolumbus fünf Jahrhunderte später allenfalls Wiederentdecker war. Aber selbst daran gibt es mittlerweile erhebliche Zweifel.

Die Nordischen Sagas überlieferten nämlich Berichte von der Reise des Leif Eriksson, der offensichtlich der Anführer der Siedler von L’Anse aux Meadows war. Bis 1961 hatten Historiker Zweifel am Wahrheitsgehalt der Sagas. Seitdem jedoch ist klar, dass das sagenhafte Vinland der Überlieferungen wirklich existiert und mit Neufundland identisch sein dürfte. Daraus folgt: Denjenigen, die sich die Sagas jahrhundertelang weiter erzählten, war bekannt, dass es hinter Grönland weitere Landmassen gibt.

Wenn man im Land der Sagas, in Island, von Vinland wusste, konnte es Kolumbus dann nicht auch wissen? Und wenn dem so wäre: Kann Kolumbus als Entdecker Amerikas gelten, wenn er von dem Land bereits wusste, für dessen Entdeckung er heute gefeiert wird?

Kolumbus war, das ergibt sich aus seinen eigenen Aufzeichnungen, im mythischen Thule und segelte von dort noch 100 Seemeilen in den Atlantik hinaus. Zwar können Historiker Thule bis heute nicht eindeutig lokalisieren, allerdings gehen die meisten davon aus, dass es an Norwegens Küste gelegen hat und zwar etwa im Bereich des heutigen Trondheim. Damit lag es weit nördlich von Bergen, das zu dieser Zeit der wichtigste Hafen und die größte Stadt Norwegens war. Der übliche Seeweg nach Grönland führte von Bergen aus über die Shetland- und die Färöer-Inseln nach Island und weiter nach Grönland. Dieser Seeweg wurde bereits über Jahrhunderte genutzt. Hat Kolumbus in Norwegen –   vielleicht sogar in Bergen selbst, wo er vorbei gekommen sein muss – davon erfahren, welche Inseln und Landmassen es auf dem Weg nach Westen gibt?

Es gibt ein frappierendes Indiz dafür: Kolumbus ließ auf seinen Schiffen die Segel so umbauen, dass sie für Vorwindkurse (der Laie spricht von “Rückenwind”) besonders geeignet waren, aber nicht dafür, gegen den Wind an zu segeln. Das wäre freilich in Bezug auf die problemlose Rückkehr nach Spanien extrem leichtsinnig gewesen, es sei denn er wusste, dass es auch eine Route für den Rückweg gab, die – anders als die von östlichen Winden bestimmte Äquatorialregion – von westlichen Winden dominiert wird. Woher wusste Kolumbus, dass ihn eine nördlicher verlaufende subarktische Westwindzone von Amerika sicher zurück nach Hause bringen würde? Von den Wikingern beziehungsweise ihren Nachfolgern?

Es spricht manches dafür, dass Kolumbus bereits vor seiner Abreise in die Neue Welt von Vinland wusste – und von den vorherrschenden Winden auf dem Weg dorthin und zurück. Wenn es so ist: Kann er dann als Entdecker gelten?

Lange vor Kolumbus: Reger Schiffsverkehr über den Atlantik

Schiffsreisen nach Amerika waren nicht nur lange vor Kolumbus technisch möglich. Es wäre sogar eher Zufall, wenn sie – nach den Fahrten der Wikinger – nicht auch bereits vor dem Jahr 1493 stattgefunden hätten.

Die europäischen Siedler, die nachweislich mindestens von 985 bis 1408, also mehr als 400 Jahre, an Grönlands Westküste gelebt haben, müssen nach Ansicht von Historikern intensiven Handel mit Walrosselfenbein und Eisbärfellen getrieben haben. Dies war nur mit regelmäßigem Schiffsverkehr von Grönland über Island zum europäischen Kontinent möglich. Und wenn es diese Verbindung gab, dann war die Fahrt nach Westen, also über die Davisstraße nach Amerika, nur so etwas wie eine Kleinigkeit. Und dann wäre es sehr wahrscheinlich gewesen, dass man im norwegischen Bergen, und sicherlich auch darüber hinaus, ebenfalls von Vinland gewusst hat. Nicht nur durch die Sagas, sondern durch aktuellere Informationen.

Nicht nur die klassische Wikingerroute von Bergen gen Westen wurde vor 1492 befahren: Ein von der Hanse errichtetes Handelsmonopol auf isländischen Kabeljau wurde, soviel steht fest, in den 1480er Jahren von Fischhändlern aus Bristol auf unerklärliche Weise umgangen. Es gibt unterschiedliche Interpretationen, ob es englische oder baskische Fischer waren, die diesen Kabeljau irgendwo anders in großen Mengen fischten. Aber es spricht vieles dafür, dass sie es, egal woher sie stammten, auf den Grand Banks vor Neufundland taten – rund 100 Seemeilen von der amerikanischen Küste entfernt. Selbstredend hielten sie jene Fischgründe, die sie reich machten, geheim. Und so gibt es bis heute keine Belege für diese Hypothese. Und niemand weiß, ob diese unbekannten Fischer aus Europa eventuell amerikanischen Boden betraten, nachdem sie einfach noch ein paar Stunden weiter nach Westen gesegelt waren.

Noch konkretere Hinweise auf das erneute Erreichen Amerikas durch Europäer vor 1492 finden sich in einer vom dänischen Wissenschaftler Sofus Larsen bereits 1925 veröffentlichten Forschungsarbeit, nach der zwei deutsche Kapitäne namens Didrik Pining und Hans Pothorst bereits zwanzig Jahre vor Kolumbus den amerikanischen Kontinent betreten haben könnten. Larsen stützte sich dabei auf ein Schreiben aus dem Jahr 1551 an den dänischen König, in dem dies recht unzweifelhaft formuliert ist. Eine Expedition sei ausgesandt worden, “um im Norden neue Inseln und Länder aufzusuchen“, heißt es darin. Die beiden Deutschen, so Larsen, seien zunächst nach Island und dann nach Grönland gesegelt, Länder, die der dänischen Krone unterstanden und zur bekannten Welt gehörten. “Neue Inseln und Länder” dahinter – das konnte nur den amerikanischen Kontinent betreffen.

Das historische Schreiben ist kein Beweis für diese Reise, die Sofus Larsen in etwa auf das Jahr 1473 terminiert hat. Aber nach allem, was wir mittlerweile wissen, ist es keineswegs unwahrscheinlich, dass sie so stattgefunden haben könnte. Nautisch wäre es keine Überraschung – auch nicht in Bezug auf deutsche Seefahrer. Bereits für das Jahr 1423 ist etwa aktenkundig, dass ein Kauffahrteischiff aus Hamburg den west-isländischen Hafen Básendar angelaufen hat. Das war schon etwa die halbe Strecke nach Amerika – 70 Jahre vor Kolumbus.

Kostenloses eBook zu Didrik Pinings Fahrt nach Amerika im Jahre 1473:
Ralf-Thomas Hillebrand: “Die Wiederentdeckung Vinlands”; In: “Nordmeer – Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt – nach wahren Begebenheiten (Band 1)”, Berlin 2019. Download (gratis): www.ralf-thomas-hillebrand.de/vinland

Schlachtschiff Tirpitz: Wie das NS-System funktionierte…

Vor 75 Jahren versenkten die Briten die Tirpitz – weil sich die Admirale gegen Hitler durchgesetzt hatten

Schlachtschiff Tirpitz gekentert als Wrack im Sandnessfjord
Das zerstörte Schlachtschiff Tirpitz in Norwegen – © Imperial War Museum UK

Am 12. November jährt sich die Versenkung der Tirpitz, des letzten deutschen Schlachtschiffs, zum 75sten Mal. Nach einem Angriff britischer Bomber ließen im November 1944, knapp sechs Monate vor Kriegsende, 971 Mann im eisigen Wasser des Sandnessunds in Nordnorwegen ihr Leben. 806 Besatzungsmitglieder überlebten. Darunter waren 87, die innen im gekenterten Schiff in Richtung Kiel nach oben kletterten und durch Löcher, die Retter von außen in den Schiffsboden schweißten, befreit werden konnten.

Die Vernichtung der Tirpitz, die Churchill angeblich “the beast” nannte, markiert eine Zäsur in der Geschichte der Kriegstechnologien: Die Zeit dominierender Schlachtschiffe war nach nur neunzig Jahren vorüber. Die Luftwaffe war mit panzerbrechenden Bomben fortan überlegen.

Bemerkenswert am Schicksal der Tirpitz ist aber auch, dass ihr Ende ein Lehrstück über den Nationalsozialismus abgibt: Wäre es nämlich nach Adolf Hitler gegangen, wäre das Schiff im November 1944 längst abgewrackt gewesen oder hätte sicher in der Ostsee gelegen. Doch das Oberkommando der Kriegsmarine setzte sich gegen den Führer immer wieder durch und beließ das Schlachtschiff schließlich in der Risikozone des militärisch von den Deutschen kaum noch gehaltenen Nordens Norwegens. Dort musste es unweigerlich verloren gehen.

Die Auseinandersetzungen zwischen der deutschen Admiralität und Hitler sind aus Sicht historischer Analyse insbesondere deshalb so interessant, weil sie eine Legende konterkarieren: jene von der alleinigen Entscheidungsgewalt Hitlers und damit seiner alleinigen Verantwortung. Ohne Hitler damit auch nur im Geringsten zu exkulpieren, kann man an den Ereignisse ablesen, dass der Nationalsozialismus und seine Verbrechen auf vielen Schultern lasteten.

Die neunzig Jahre, in denen Schlachtschiffe Kriege entschieden, fallen recht genau zusammen mit dem Aufbau einer deutschen Flotte. Dieses “große nationale Werk”, wie Kaiser Wilhelm I es einst bezeichnete, führte zugleich zur Schaffung einer mächtigen Institution, des Oberkommandos der Marine. In seinen hierarchischen Strukturen konservierte es die Idee der Unbesiegbarkeit dick gepanzerter und mit gigantischen Geschützen ausgerüsteter Schlachtschiffe. Das Oberkommando wurde bis zur Kapitulation von der sogenannten “Dickschifffraktion” dominiert.

Anders als die Admiralität erkannte Hitler jedoch mit dem Verlust eines jeden weiteren Großschiffs immer klarer, dass die gepanzerten Kolosse wenig zu den erhofften militärischen Erfolgen beizutragen hatten. Vielmehr bedeutete jede Versenkung eine psychologische Schwächung der deutschen Kampfmoral – sowohl in der Wehrmacht als auch in der Bevölkerung.

Im Verlauf des Krieges entpuppten sich die wenigen deutschen “Dickschiffe” immer mehr als Achillesferse der Seekriegsführung: Im Dezember 1939 versenkte sich das Panzerschiff Admiral Graf Spee angesichts einer englischen Übermacht im Rio de la Plata in aussichtsloser Lage selbst. Im April 1940 schickten norwegische Torpedos den Schwere Kreuzer Blücher auf den Grund des Oslofjords. Im Mai 1941 stellten die Alliierten das Schlachtschiff Bismarck im Nordatlantik, wo es nach einem Gefecht sank. Im Februar 1942 wurde das Schlachtschiff Gneisenau, das nach einem Bombentreffer in Kiel zur Reparatur auf der Werft lag, durch einen weiteren Bombenangriff so schwer beschädigt, dass es danach nie mehr zum Einsatz kam. Am Silvestertag 1942 versenkten die Briten in der Barentssee den Zerstörer Friedrich Eckoldt und beschädigten den Schweren Kreuzer Admiral Hipper so schwer, dass er danach keine weiteren Kriegseinsätze mehr absolvieren konnte. Das Schlachtschiff Scharnhorst wurde am zweiten Weihnachtstag 1943 nahe des Nordkaps von britischen Schiffen versenkt.

Bereits Ende 1941 stellte Hitler den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, vor die Alternative, die im deutschen Stützpunkt Brest liegenden Schlachtschiffe und Schweren Kreuzer in sicherere Gewässer an deutschen und norwegischen Küsten zu verlegen – oder sie würden außer Dienst gestellt und “desarmiert”. Raeder schrieb an Hitler: “Von einer Außerdienststellung und Desarmierung der Schiffe in Brest muß ich mit allem Ernste abraten.” Die Schiffe wurden in einer tollkühnen Aktion verlegt. Ein Jahr später, nach dem Desaster um die Schiffe Friedrich Eckoldt und Admiral Hipper verlangte Hitler erneut die Außerdienststellung und Desarmierung. Es kam zu einem persönlichen Streit, woraufhin Raeder – mitten in der entscheidenden Phase des zweiten Weltkrieges – als Oberbefehlshaber der Kriegsmarine zurücktrat.

Nachfolger wurde am 30. Januar 1943 Großadmiral Karl Dönitz, zuvor Chef der U-Boot-Flotte. Er wird mit den Worten zitiert: “Die Auffassung des Führers, daß die Marine durch die Überwasserkriegsführung moralisch belastet wird, muß durch eine Tat mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden”. Aus der Seekriegsleitung hieß es wenig später, der Großadmiral habe sich “beim Führer gegen Widerstände durchgesetzt”. Die Großschiffe verblieben im Dienst.

Am 17. Juli 1944 konnte die im Kåfjord nahe dem Nordkap ankernde Tirpitz einen Luftangriff der Briten gerade noch abwehren. Hitler plädierte zwei Tage später dafür, das letzte deutsche Schlachtschiff in die Ostsee zu verlegen. Doch die Kriegsmarine verweigerte sich erneut. An den Rand des Sitzungsprotokolls notierte der Chef der Seekriegsleitung, Admiral Wilhelm Meisel, ein großes “Nein”.

Zwei Monate später, am 15. September 1944, beraubte ein britischer Bombentreffer die Tirpitz ihrer Seetüchtigkeit. Notdürftig repariert und nur noch zu langsamer Fahrt in der Lage wurde das Schiff in die Nähe von Tromsø beordert, um dort als “schwimmende Batterie” zu fungieren. Kommandant Wolf Junge wandte sich verzweifelt an die Seekriegsleitung und empfahl die Aufgabe des Schiffes: “Ein weiteres Verharren im gegenwärtigen Zustand oder ein langfristiger Versuch einer Instandsetzung bedeutet m.E. außer der Preisgabe des nun nicht mehr einsatzfähigen Schiffes die Opferung der Besatzung.”

Als die Tirpitz am 12. November 1944 endgültig versenkt wurde und 971 Mann starben, war dies vor allem die Konsequenz von Fehleinschätzungen, falschem Ehrgeiz und Verantwortungslosigkeit, mit denen sich die Marineführung gegenüber dem Führer behaupten konnte.

Die Handlungsfreiheit der Admiralität gegenüber Hilter, wie sie sich im Fall der Tirpitz offenbarte, steht in krassem Widerspruch dazu, wie sich die einstigen Eliten Nazideutschlands nach dem Krieg von jeglicher Verantwortung freisprachen. “Hitler war’s”, betitelte der Historiker Hannes Heer – nach einer in der Nachkriegszeit gebräuchlichen Redewendung – ein Buch, in dem er die vorgebliche “Kollektivunschuld” der Kriegsgeneration kritisierte. Der Untergang der Tirpitz belegt: Hitler war’s beileibe nicht allein.

Neuerscheinung: Kurzgeschichte zur Versenkung der Tirpitz
Ralf-Thomas Hillebrand: «Das letzte Schlachtschiff». In: «Nordmeer: Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt – nach wahren Begebenheiten» (Band 3), Norderstedt/Berlin 2019 (www.ralf-thomas-hillebrand.de/band3, eBook).

Leseprobe: Komplettes kostenloses eBook der Reihe „Nordmeer“:
Ralf-Thomas Hillebrand: „Die Wiederentdeckung Vinlands”; In: “Nordmeer – Historische Kurzgeschichten aus der nordischen Seefahrt – nach wahren Begebenheiten (Band 1)”, Berlin 2019. Download (gratis): www.ralf-thomas-hillebrand.de/vinland